Donnerstag, 22. März 2012

Opfer...

Gastmutter Lourdes melkt die Kuh
Der Karneval ging aber natürlich nicht nur in Oruro auf die Straße, sondern in ganz Bolivien. An der Straßenschlacht in El Torno nahm ich aber am Montag erstmal nicht teil, weil meine Gastfamilie einen Ausflug machte.
Auch wenn das Haus recht bescheiden ist und sie außer einem neuen Receiver für den Fernseher (inzwischen haben wir um die 500 Sender, weswegen der tägliche Fernsehkosum drastisch in die Höhe gegangen ist) keine besonderen Luxusgüter hat, ist meine Gastfamilie aber nicht arm. Der Besitz den sie haben, zeichnet sich aber vor allem in lebenden Wesen aus und genau die suchten wir am Karnevalsmontag auf.

Nach einer halbstündigen Fahrt im Jeep, auch kurz den Fluss durchquert - Brücken sind eher selten und viel Wasser hat er sowieso nicht – und einem kurzen Fußmarsch standen wir mitten im Urwald, so zumindest stell ich mir einen unberührten Wald vor. Es machte den Anschein, als wäre dort noch nie ein Mensch gewesen, bis ich plötzlich vor einer kleinen eingezäunten Koppel stand, auf dem knapp zehn Rinder grasten. Ziemlich große und ebenso ein paar Kälber standen dort im Schatten der Bäume, muhten und grasten friedlich vor sich hin während wir ein kleines Feuerchen entfachten.
Doch damit endete dann auch die Ruhe. Die Männer schnappten sich eine große Kuh und begannen sie mit einem Strick um den Hals an einem Baumstumpf festzubinden und ihre Beine ebenso, damit sie sich nicht mehr bewegen konnte. Ich hatte noch nicht ganz verstanden, was sie vorhatten, doch als meine Gastschwester Litzi eine Geste mit der Hand machte, war ich ziemlich schockiert. Es machte tatsächlich den Eindruck als wollten sie hier und jetzt das arme Rind schlachten!

Gastcousin Mickey mit dem Brandzeichen

Kleiner, süßer Nachbar

Ziemlich verunsichert wurde ich trotzdem aufgefordert näher heranzutreten und Fotos davon zu machen. Zum Glück merkte ich aber kurz darauf, dass ich mich getäuscht hatte. Die Kuh durfte am Leben bleiben und sollte nur das Brandzeichen der Familie Padilla – meiner Gastfamilie – bekommen. Also wurde das Eisen aus dem Feuer genommen, die Kuh auf die Seite gelegt und ihr ein doppeltes P für Pablo Padilla auf den Rücken gebrannt. Auch wenn ich das nicht wirklich toll finde, war ich doch einfach noch zu erleichtert darüber, dass sie nicht vorhatten eine der Kühe zu töten. Nachdem Gastmutter Lourdes eine der Kühe gemolken hatte, wurde die frische Milch mit purem Alkohol und viel Zucker vermischt, wovon dann jeder einen Becher bekam. Bevor man einen Schluck trank, verschüttete man aber erst ein wenig über das Brandzeichen der Kuh. Dies ist wohl ein Ritual um das Rind als Besitz der Familie anzuerkennen, oder etwas in der Art.
Es wurden noch ein paar weitere Rinder gebrandmarkt, bevor Gastvater Pablo sie durch den Wald auf eine andere Weide trieb und wir uns wieder nach Hause aufmachten.

Am nächsten Morgen machten wir uns dann auf eine mehrstündige Fahrt über asphaltierte Straße, Feldweg und auch mal querfeldein zum Landbesitz meiner Gastschwester Litzi, die immer von ihrem Maisfeld erzählte, was sie besitzt. Darunter konnte ich mir immerhin schon mal etwas vorstellen, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass das Feld so groß ist! Ich habe leider einer schlechte Vorstellung von Hektar oder solchen Größenordnungen um es genau zu beschreiben, aber es war extrem groß für mein Empfinden und es hätten wahrscheinlich sieben Fußballfelder draufgepasst. Und es war voll mit großen, grünen Maispflanzen.

Padre Freddy, sein Bruder Pablo, Gastmutter Lourdes und Gastschwester Nidia

Glückliche Landbesitzer

Was genau wir dort dann vorhatten, erfuhr ich ebenso erst wiedervor Ort: Essen. Wir holten Wasser aus einem Tümpel, wuschen das Gemüse darin und packten die schon vorher gekochten Kartoffeln und den Reis aus. Dann bekam jeder seinen Teller und ein Glas extrem süßen Wein und wir hockten einfach am Rand des Feldes und aßen. Danach wurde noch von allem etwas für die Jungfrau Maria geopfert und in einem kleinen Feuerchen verbrannt. Dann bekam jeder nachgeschenkt und sollte, bevor er trank an die vier Ecken der Asche einen Schluck vergießen, was vier Hausecken symbolisieren soll. Wir beteten also dafür, dass Litzi bald ihr eigenes Heim bauen könnte.
Und das wars. Danach fuhren wir die lange Strecke wieder nach El Torno.

Danach erlebte ich aber noch ein wenig vom Karneval in El Torno, denn die Jugendlichen hatten jede Menge Wasserpistolen und –bomben bereit, mit denen sie sich gegenseitig nass machten. Irgendwann kamen dann auch noch Farbpatronen hinzu. Während sie am Anfang etwas schüchtern waren auch mich in die Wasserschlacht mit einzubeziehen, verloren sie diese Hemmungen schnell und ich wurde ein beliebtes Opfer. Ziemlich schnell war ich komplett durchnässt, als wäre ich schwimmen gegangen und das ausgerechnet an einem Tag, der nicht ganz so heiß war. Dennoch hat es ziemlich Spaß gemacht und ich habe mein T-Shirt gerne an die Farbbomben verloren.

Gastschwestern Litzi und Nidia

Essensopfer an die Jungfrau

Liebe Grüße von manchmal eigenartigen Opferritualen aus Bolivien
Lisi
Mittagessen am Maisfeld

Teufel in Bolivien!

 
Nun mache ich mit meinen Erlebnissen im Februar weiter, bis ich irgendwann alle Erlebnisse aufgearbeitet habe und mich wieder ganz den aktuellen Abenteuern widmen kann.
Neben Armut und Dritte-Welt-Land hat der eine oder andere vielleicht auch schonmal den Begriff „Karneval in Oruro“ in Bezug auf Bolivien gehört. Wenn nicht, sollte man das unbedingt nachholen.
 
 
Vom 18. bis zum 21. Februar herrschte dieses Jahr in ganz Bolivien ausgelassener Carnaval und Oruro, das im Reiseführer sonst eher sparsam erwähnt wird, wird von Touristenmengen, sowie ausgesprochen vielen Einheimischen nur so überflutet. Deshalb ist vor allem die Anreise, sowie das Finden einer Unterkunft mit viel Stress verbunden. Da wir Freiwilligen aber von der Hermandad die Unterkunft in einem Caritashaus gestellt bekamen, wollte ich mich dennoch auf den Weg machen und den Karneval in Oruro erleben.
Doch die Anreise stellte sich durchaus als problematisch heraus, weil seit einigen Tagen Bloqueos (Straßenblockaden, weil für irgendetwas demonstriert oder gestreikt wurde) zwischen Santa Cruz und Cochabamba stattfanden und das nunmal genau die Strecke ist, die ich nach Oruro nehmen musste. Am Terminal in Santa Cruz gab es also erstmal keine Direktverbindung nach Oruro und lediglich zwei Busse nach Cochabamba, die völlig überteuert waren, aber was soll man machen. Ich fuhr also einfach auf gut Glück nach Cochabamba, kam dort morgens um fünf Uhr an und hatte so viel Glück, dass ich eine halbe Stunde später in einem Bus nach Oruro saß. Es lief also letztendlich doch alles glatt.
 
Auch die Kapellen tanzten

 
Nach einer überteuerten Taxifahrt zum Caritashaus und einer einstündigen Suche nach den anderen Freiwilligen, die schon Tribünenplätze hatten, saß ich endlich neben Julia auf meinem schmalen, aber überdachten Sitzplatz, von dem aus ich einen herrlichen Blick über die Plaza (den Platz) hatte, wo all die Tanzgruppen der Entrada (ungefähr so etwas wie ein Karnevalsumzug) vorbeitanzten und für die dort aufgestellten Fernsehkameras ihr Bestes gaben.
Es – war – beeindruckend! Es waren unendlich viele Gruppen in den buntesten, federreichsten, kürzesten, ausgefallensten Kostüme, die ich je gesehen habe. Und obwohl sie, als sie schließlich bei uns ankamen schon vier Stunden lang durch die ganze Stadt getanzt waren und einige auch schon eine Menge Alkohol in sich, tanzten sie wie wild und gaben ihr Bestes und das war wirklich toll! Die Kostüme weiter zu beschreiben spare ich mir aber nun, dafür sind die Bilder da. Immer nach ein paar Tanzgruppen kam dann eine große Kapelle, die für die musikalische Unterhaltung sorgte und am Beginn jeder Gruppe fuhr ein geschmücktes Auto mit einer Jungfrauenstatue vorweg.
 



Den ganzen Tag saßen wir dort und genossen das Schauspiel, bis wir dann irgendwann Hunger hatten und uns auf die Suche nach etwas Essbarem machten. Nach einem kurzen Snack auf der Straße, begaben Lena und ich uns jedoch in die falscheste aller falschen Straßen. Dazu muss ich erwähnen, dass die Straßen in Oruro bis zum Bersten mit Menschen gefüllt sind und es zu Karneval Brauch ist die Anderen mit Wasserpistolen und Sprühschaum abzuschießen. Ist auch eigentlich nicht schlimm, vor allem weil wir uns vorher auch eine Dose Sprühschaum zur Verteidigung gekauft hatten. Irgendwie schienen wieder aber eine Zielscheibe auf der Stirn zu tragen, denn wie auf ein Kommando fingen plötzlich alle Leute in der Straße an uns anzusprühen...es hörte gar nicht mehr auf und wir hatten einfach nur noch überall Schaum! In den Haaren, in de Nase, in den Ohren, im Mund (er schmeckt echt eklig) und auch überall sonst, sodass wir wahrscheinlich einfach nur noch wie Schaumbälle aussahen! Das Problem war dann, dass wir am Ende der Straße nicht weiterkamen, weil dort für die Entrada gesperrt war und wir die Straße mit den verrückten Schaumsprühern wieder zurückmussten! Also hätten wir uns nicht die Mühe machen müssen den Schaum zumindest aus dem Gesicht notdürftig zu entfernen, denn wir bekamen gleich nochmal die volle Ladung von allen Seiten ab. Als wir dann endlich ein wenig aus dem Gedränge heraus waren, ließen wir uns freiwillig von einem Jungen mit Wasserpistole nassspritzen, denn so ließ sich der Schaum besser entfernen.
 
Teufelinnen mit Masken


 
Nach diesem Abenteuer war ich froh irgendwann wieder auf meinem Platz zu sitzen, wo keiner mich vollsprühte und meine Klamotten ein wenig trocknen konnten. Denn es wurde auch bald dunkel und in Oruro wird es dann auch schnell kalt. Die Entrada wurde dann aber erst richtig spannend, denn als es dunkel wurde, packten die Tanzgruppen plötzlich ihr Feuerwerk aus und es wurde ein großes Lichtspektakel.
Leider mussten wir uns dann sehr bald auf den Weg machen, weil wir nur bis um halb zwölf in das Caritashaus hineinkonnten. Das war dann doch sehr schade, denn eigentlich hatte die Karnevalsfeier gerade erst angefangen und wir wären gerne noch länger draußen geblieben, aber das ließ sich dann nicht mehr ändern.

Eigentlich war mein Plan bis Dienstag in Oruro zu bleiben, aber die Stimmung bei den anderen Freiwilligen war durch die geplatze Samstagnachtfeier irgendwie im Keller und alle fuhren wieder in ihre Projekte zurück. Alleine bin ich natürlich nicht geblieben und machte mich deshalb mit Viola, Larissa und Steffi auf den Weg nach Cochabamba, von wo aus ich glücklicherweise einen der letzten Busse nach Santa Cruz erwischte und so schon am Montagmorgen wieder dort ankam.
 
Auch Regenponcho hilft nicht gegen den Sprühschaum

Abendliches Feuerwerk

Damit liebe Grüße von der Diablada, Morenada...
Lisi