Donnerstag, 26. Januar 2012

Chichaleiche um ein Uhr

Im vergangenen Monat bin ich ein wenig in Bolivien herumgekommen und hab vieles gesehen. Das alles in einen einzigen Eintrag zu quetschen, wäre aber viel zuviel, deshalb fange ich hier erstmal mit Weihnachten an, die anderen Erlebnisse folgen nach und nach.
Auf dem Weg nach Padilla
 
Mit meiner Gastschwester Litzi hatte ich am 22. 12. abgesprochen, dass wir am nächsten Tag gegen zehn Uhr mit ihrem Cousin Micky nach Padilla fahren, wo meine Gastfamilie ein Haus hat und immer Weihnachten feiert. Das liegt daran, dass sie früher dort gelebt haben und alle Kinder dort geboren sind. Da wir vorher aber noch die Bibliothek putzen mussten, stellte ich meinen Wecker auf sechs Uhr morgens, damit ich auch noch in Ruhe meine Sachen packen konnte, denn ich würde insgesamt einen Monat wegbleiben und wollte nichts vergessen.
Typisch bolivianisch lief aber natürlich mal wieder nichts nach Plan. Um vier Uhr morgens klopfte Litzi an meine Tür und sagte, dass ihr Vater und ihr Bruder jetzt mit mir nach Padilla fahren würden. Das war dann wohl nichts mit „in Ruhe packen“. Ich hatte geschätzte zehn Minuten, um irgendwie alles Wichtige in meinen Rucksack zu stopfen und einfach darauf zu hoffen, dass ich nichts vergessen hatte.
Ein Teil des Innenhofes mit den Feuerstellen

Im Jeep fuhr Juan seinen Vater und mich dann Richtung Padilla. Unterwegs trafen wir noch Redmy mit seiner Familie im Auto und noch einige Cousins, die ebenfalls alle nach Padilla wollten. Deren Auto streikte aber immer wieder und so brauchten wir letztendlich beinahe die doppelte Zeit um irgendwann anzukommen. Die Landschaft, die an mir vorbeizog, war dafür aber wunderschön und ich bewunderte die ganze Zeit die knallgrünen Berghänge, an denen wir entlangrasten.
Auf Redmys Auto waren zwei Plastiksäcke festgeschnallt, in denen sich noch lebende Hühner befanden. Ich hatte nicht erwartet, dass sie die Reise bei der Hitze überleben würden, doch nachdem sie sich zumindest Atemlöcher hineingebissen hatten, schafften sie es noch lebend anzukommen. Als wir dann spät abends ankamen, wurden sie einfach in den Plastiksäcken liegengelassen, weil alle nur noch ins Bett wollten. Ich schlief mit Redmy, seiner Frau Jovi, deren beiden Schwestern und meinen Gastneffen Arlan und Darwin in einem kleinen Zimmer auf Strohmatratzen.

Ein Schlafzimmer, rechts die Tür zum "Bad"

Davor erwartete mich aber noch ein Abenteuer: duschen. Das Haus besteht aus mehreren kleinen Häuschen, die sich um einen Innenhof scharen, der ein großes Wasserbecken beherbergt. Dort befindet sich der einzige Wasseranschluss am Haus. Das bedeutet, dass der Wasserhahn den ganzen Tag läuft und das Becken füllt. Es gibt weder Klospülung, noch eine Dusche. Da wir aber von der Fahrt vollkommen eingestaubt waren und mein schwarzes T-Shirt nur noch braun war, mussten wir unbedingt duschen. Also schnappten wir uns zwei große Farbeimer, füllten sie aus dem Becken mit Wasser, gingen in das kleine Badezimmer, wo nur eine Steinkloschüssel steht, und schütteten uns gegenseitig mit einer Kokosnussschale Wasser über die Köpfe. Dabei dann auch alles Shampoo herauszuwaschen, ist nicht ganz so einfach. Wir hatten allerdings Glück, dass das Wasser im Becken sich über den Tag schon ein wenig aufgewärmt hatte, denn in Padilla kühlte es ohne Sonne deutlich ab, denn es liegt auf ungefähr 2000 m.

Zur Feier des Tages: Liveschaltung zur Schweinschlachtung

Die Toilette

Am 24. geschah soweit eigentlich nichts weiter, außer, dass alle außer mir von der abendlichen Dusche erkältet waren. Den Tag über kochten wir eigentlich die ganze Zeit und haben bis spät abends jede Menge Kartoffeln geschält, bis uns die Finger weh taten. Da ich doch sehr müde war, legte ich mich schon auf die Matratze, während die anderen noch aufblieben um dann um Mitternacht ein kleines Feuerwerk zu machen und nochmal etwas zu essen.
Eine der Feuerstellen, auf der für 200 Leute gekocht wurde

Am 25. ging es dann aber richtig los. Morgens fuhren wir alle nach Padilla – das Haus liegt etwas außerhalb des Dorfes – und gingen in die Kirche. Der Pfarrer schien es recht eilig zu haben und der Gottesdienst war schnell vorbei. Vor dem Altar waren aber so viele Jesuspuppen niedergelegt worden, dass der Geistliche noch mindestens eine Viertelstunde damit verbracht hat die Puppen und deren Besitzer mit Weihwasser zu besprenkeln. Nachdem das geschafft war, wurden wir schnell noch alle mit Konfetti beworfen und fuhren dann wieder zu dem Haus. Dort begann dann die Feier. Um elf Uhr morgens.
Krippe noch ohne Jesus
 
Wir hatten zwei Krippen aufgebaut, eine drinnen, eine unter dem Scheunendach draußen und vor beiden wurde fleißig getanzt. Das war sowieso der Hauptaspekt der Feier. Die Liveband spielte die ganze Zeit das gleiche Lied und es wurde den ganzen Tag der gleiche Tanz getanzt, bei dem ich mir letztendlich meist so vorkam, als würde ich nur vor der Krippe herumhüpfen. Aber alle haben sich gefreut, dass ich fleißig das Tanzbein geschwungen habe und auch kaum eine Einladung zum Tanz ablehnte. Ich wollte schließlich keinen beleidigen. Irgendwie schien das halbe Dorf anwesend zu sein – mindestens 200 Leute – und davon waren wahrscheinlich 80% irgendwelche Verwandte. Die Namen von denen, denen ich vorgestellt wurde, konnte ich mir natürlich nicht alle merken, aber bei den meisten reichte es, wenn ich einfach einen Chicha mit ihnen trank. Chicha ist ein Maisgebräu mit Alkohol und viel Zucker und war an dem Tag das einzig Trinkbare. Es gab nichts anderes.
Weihnachtsmänner? Was haben die an der Krippe zu suchen?

Es läuft aber nicht so ab, dass man sich ein Glas damit nimmt und es dann in Ruhe trinkt. Erstmal gab es keine Gläser, sondern nur kleine Schälchen von irgendwelchen Früchten, mit denen man die Chicha einfach aus den Eimern schöpft und dann trinkt. Und dann trinkt man nicht für sich alleine, sondern bevor man trinkt, wendet man sich an irgendjemanden, der gerade in der Nähe steht und sagt: „Te invito“ (Ich lade dich ein). Daraufhin trinkt man sein Schälchen aus, füllt es erneut und reicht es an den Eingeladenen weiter, der daraufhin das Gleiche macht. Deshalb sollte man nicht nur zu zweit irgendwo stehen, weil man sich dann immer gegenseitig einladen müsste und das schnell böse endet. Dass die Bolivianer nicht so trinkfest sind, merkte ich erst daran, dass um ein Uhr mittags die ersten nicht mehr stehen konnten und eine Chichaleiche schon in der Ecke lag und nichts mehr mitbekam.

Gastbruder Redmy mit seinem Sohn Darwin und einem Chicha-Schälchen

Auch am nächsten Morgen – wir standen um halb neun auf, nachdem ich als Letzte erst um fünf ins Bett gegangen war – hatte mindestens die Hälfte der Leute einen gewaltigen Kater, vor allem die Männer hatten ordentlich zugeschlagen. Zur Erfrischung und Abwechslung vom Kartoffelnschälen luden mich ein paar der älteren Cousins und Cousinen zu einer Fahrt zum nahen Fluss ein, was ich nicht ablehnen wollte. Es war schönstes Wetter und mit der Sonne konnte man es in kurzen Klamotten gut aushalten und durch das Bad im Fluss ersparte ich mir die Eimerdusche.

Eifriges Kartoffelschälen

Wand aus gebackenem Brot

Anschließend wurde wieder fleißig kochen geholfen und ab mittags ging das ganze wieder von vorne los. Nach und nach trudelten die Leute wieder ein, die Liveband spielte, es wurde getanzt und getrunken. An dem Abend war ich allerdings ein wenig früher im Bett, was mir ein Glück keiner übel genommen hatte. 
Was man zum Alkoholkonsum vielleicht noch erwähnen sollte: bei stillenden Müttern oder Schwangeren wird keine Ausnahme gemacht. „Te invito“ gilt für alle. Und während mir meine Gastschwester Bethsi irgendwann erzählt hatte, dass es schädlich für das Ungeborene sei als Schwangere Fahrrad zu fahren, sagte sie zur Chicha nicht nein. Nunja...andere Kultur eben.

Übergroßes Jesuskind

Irgendwann war die Feierei dann aber auch vorbei und am nächsten Tag fuhren wir alle auf Mickys Lastwagen über sehr eng gewundene Straßen zu einem großen Fluss, der drei Stunden entfernt lag. Dort wohnte, mitten im Nichts, noch irgendein Cousin, bei dem wir dann alle zusammen kochten, aßen und die Füße in einem Flussarm kühlten. Anschließend gingen wir auch noch zum Hauptfluss, wo rasch gebadet wurde und es dann wieder heimwärts ging.
Am folgenden Tag fuhren dann nochmal alle Verwandten zu einem Haus einer Tante, wo wieder fleißig gegessen und Chicha getrunken wurde und ich weder das immerlgeiche Essen, noch das Maisgebräu anrühren wollte und mich mit trockenen Kartoffeln zufrieden gegeben hatte.

Tanzen

Litzi und Lurdes vorne

Gastbruder Juan tanzt auch

Tja. Das was Weihnachten in Padilla. Bei 25° Celsius, ohne Weihnachtsbaum, dafür aber mit 200 Leuten, ganz schön seltsam, aber total spannend mitzuerleben.

Liebe Grüße von der alkoholreichen Weihnachtsparty
Lisi

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